In meinen Seminaren kommt irgendwann immer der Satz: „Bei mir werden die Sätze immer total lang und kompliziert …“ Tatsächlich wünschen sich viele Menschen, kürzere, prägnantere Sätze zu schreiben, denn sie wissen aus eigener Erfahrung: Kurze Sätze sind angenehmer zu lesen.
Warum das Lesen erleichtern?
In Zeiten des Internets ist die verfügbare Textmenge nahezu unbegrenzt: Wenn ein Text anstregend ist, finden wir einen ähnlichen Inhalt mit ein paar Klicks woanders. Um gelesen zu werden, sollten wir uns daher mühen. Und unserem Leser Mühe ersparen. Und Zeit.
Zudem lesen wir am Bildschirm weniger aufmerksam als auf dem Papier. Da aber immer mehr am Bildschirm gelesen wird, sollten wir unser Schreiben diesem Lese-Umstand anpassen. Und auch wenn Ihr Text nur auf Papier erscheint, profitiert er sehr von kurzen Sätzen. Warum?
Am präsentesten ist das Jetzt
Sagen Sie mir: Was sehen, fühlen, riechen, schmecken, hören Sie jetzt, in diesem Moment? Gut, das bekommen Sie hin.
Und jetzt sagen Sie mir: Was haben Sie vor zehn Sekunden gesehen, gefühlt, gerochen, geschmeckt, gehört? Schon schwieriger, richtig? Was jetzt passiert, ist präsenter als alles, was in der Vergangenheit liegt. Leichter zugänglich. Alles, was wir erinnern, wird dagegen unscharf, lückenhaft, schwieriger zu fassen.
Daher sollte unser Leser unseren Text möglichst im Jetzt erleben. Und möglichst wenig erinnern müssen.
Gegenwartsfenster
Wie lange dauert die Gegenwart? Versuche haben ergeben, dass die Zeitspanne, die der Mensch als Jetzt wahrnimmt, etwa zwei bis drei Sekunden dauert. Das ist so lang wie eine Gedichtzeile oder ein musikalisches Motiv. Das bedeutet:
In unsere Gegenwart passen sieben bis acht Wörter oder zwölf Silben.
Dieses Gegenwartsfenster ist unabhängig vom IQ, deswegen empfinden auch alle Menschen bestimmte Satzlängen in etwa als gleich leicht oder gleich schwer zu verstehen:
Wörter pro Satz – Verständlichkeit
1-13 – sehr leicht
14-16 – leicht
17-25
26-30 – schwer
31+ – sehr schwer
Beim Lesen wollen Menschen schnell informiert werden, wenn ein Text ihnen Schwierigkeiten bereitet, legen sie ihn weg. Deswegen mein Tipp für Ihre Texte:
Setzen Sie nach spätestens 12 Wörtern einen Punkt!
Hier ein paar Tipps, wie’s geht.
Kurze Sätze durch Hauptsatz-Konstruktionen
Der Hauptsatz ist die wichtigste Konstruktion im Deutschen – leider verkommt er bei so vielen Möglichkeiten für Nebensätze zur Nebensache. Im Deutsch-Unterricht haben wir schließlich alle gelernt, welche tolle Nebensätze es gibt: konsekutiv, final, konditional, kausal, konzessiv …
- Der Hauptsatz hat Kraft.
- Der Hauptsatz trägt die Hauptinformation.
- Den Hauptsatz sollten Sie pflegen!
Stellen Sie das Verb immer an die zweite Satzgliedstelle – steht es am Ende des Satzes, sind Sie in die Nebensatzfalle getappt.
Nebensätze machen Sätze lang, denn sie kommen nie ohne Hauptsatz aus – so sind es bis zum Punkt immer zwei Sätze und damit mehr Wörter.
Kurze Sätze ohne Partizipien
Die deutsche Sprache bietet alle Möglichkeiten, Sätze lang und kompliziert zu machen. Weigern Sie sich, sie zu nutzen! Beispiel:
Der an der Fachhochschule X-Stadt im Bundesland S. berufene und in Glückdorf wohnende Hochschullehrer ist nicht nur als hochqualifizierter Mediziner, Dozent und Vorbild für die Studenten ein Gewinn.
Zwischen dem Artikel und dem zugehörigen Nomen stehen sage und schreibe 12 Wörter (erinnere: 12 Wörter = maximale Satzlänge) bzw. 24 Silben (erinnere: Gegenwartsfenster = 12 Silben)! Das grenzt an Leser-Folter.
Lassen Sie zusammen, was zusammen gehört! Vermeiden Sie Partizipien! (Das sind Verben mit einem -nd- im Wort: wohnend, sitzend, seiend … oder im Passiv: geborene, versetzte, gewählte …)
Es geht doch auch so:
Der Hochschullehrer wurde berufen an der Fachhochschule X-Stadt im Bundesland S. und wohnt in Glückdorf; er ist nicht nur als hochqualifizierter Mediziner, Dozent und Vorbild für die Studenten ein Gewinn.